Interdiziplinäre Zusammenarbeit

Aufgaben zwischen den Gesundheitsberufen neu verteilen und Patientenversorgung sichern

Arzt mit Patient im Gespräch. Krankenhaus in Berlin.
Arzt mit Patient im Gespräch. Krankenhaus in Berlin.
© BMG / Thomas Köhler (photothek)

Momentan gibt es in fast allen Berufen, die an der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung beteiligt sind, einen Fachkräftemangel. Das betrifft Pflegekräfte und Physio-, Ergotherapeuten oder Logopäden genauso wie bestimmte Fachärzte – in allen diesen Berufsgruppen gibt es schon heute in vielen Regionen zu wenige Berufsangehörige, die die wachsende Arbeitslast bewältigen können. Und die Prognosen für die Zukunft sind düster: Denn die demografische Entwicklung und der medizinisch-technische Fortschritt wird unsere Gesellschaft weiterhin prägen und verändern. Die Anforderungen und die Versorgungsstrukturen sind heute schon komplexer als noch vor 20 Jahren. In Pflegeeinrichtungen werden immer mehr auch chronisch und mehrfach erkrankte Menschen versorgt. Und im Krankenhaus benötigen alle Gesundheitsberufe zunehmend Kenntnisse im Umgang mit pflegebedürftigen Menschen, die unter Demenz leiden.

 

Um auch künftig Patienten und Pflegebedürftige sicher versorgen zu können, müssen wir deshalb die Frage stellen „Wer kann welche Leistungen am besten erbringen, wie, wo und mit wem?“. Eine gute, flächendeckende Versorgung wird künftig nur gelingen, wenn wir Versorgungsprozesse, Abläufe und Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Berufen und Bereichen neu denken. Es geht darum, die Aufgaben bei der Versorgung von Menschen mit unterschiedlichen Bedarfen zwischen den verschiedenen Gesundheitsberufen anders zu verteilen - damit jeder das macht, was er am besten kann. So entlasten sich alle Behandler gegenseitig. Und wir brauchen mehr interprofessionelles Teamwork auf Augenhöhe, in der Praxis und der Ausbildung.

 

Der Koalitionsvertrag sieht deshalb vor, die Aufgabenverteilung der Gesundheitsberufe neu zu justieren und den Gesundheitsfachberufen mehr Verantwortung zu übertragen. Dazu müssen wir uns insbesondere anschauen, welche heilkundlichen Aufgaben des Arztes in konkreten Versorgungsbereichen an Pflegekräfte oder Heilmittelerbringer übertragen oder delegiert werden könnten. Pflegekräfte könnten beispielsweise Aufgaben bei der Versorgung chronischer Wunden oder Diabetes mellitus sowie spezifische Infusionstherapien übernehmen. Für die Verordnung von Heilmitteln wurde bereits mit dem Heil-und Hilfsmittelgesetz (HHVG) die Möglichkeit der „Blankoverordnung“ geschaffen. Allerdings muss der Patient weiterhin zuerst den Arzt konsultieren, bevor er einen Heilmittelerbringer aufsuchen kann oder ein Hilfsmittel erhält. Der in anderen Ländern erfolgreich eingeführte Direktzugang sollte auch in Deutschland erprobt werden. Wenn der Patient ohne Verordnung direkt zum Physiotherapeut, Ergotherapeut oder Logopäden gehen kann oder die Pflegefachkraft die Versorgung von Menschen bei bestimmten definierten Erkrankungen übernimmt, spart das Zeit und Aufwand für alle. Insbesondere auf dem Land, wo eine Unterversorgung mit Ärzten längst Realität ist, kann die Übernahme heilkundlicher Tätigkeiten durch Gesundheitsfachberufe die Patientenversorgung sichern.

 

Ein Mehr an Berufsautonomie erfordert allerdings auch ein Mehr an Verantwortungsübernahme. Geklärt werden muss, welche Qualifikationen Heilmittelerbringer und Pflegefachkräfte benötigen, um Patientensicherheit und Qualitätsstandards einzuhalten. Zudem muss klar sein, wer welche Leistungen abrechnen darf. Im Pflegeberufegesetz sind bereits erstmals Tätigkeiten definiert, die nur von Pflegefachkräften ausgeführt werden dürfen. Gleichzeitig sollten Fachkräfte von Tätigkeiten entlastet werden, die ebenso gut von Hilfskräften wahrgenommen werden können.

 

Die Regelung, Weiterentwicklung und Überwachung der Berufspflichten gehören typischerweise zu den Aufgaben einer Kammer, genauso wie die Unterstützung und Beratung von den Mitgliedern bei ihrer Berufsausübung. Auch die Definition eigener beruflicher Inhalte und Handlungsfelder, sowie Standards für eine kontinuierliche Weiterbildung können nur sinnvoll durch die jeweilige Berufsgruppe selbst festgelegt werden. Deshalb brauchen wir unbedingt in allen Ländern sowie auf Bundesebene Pflegekammern.

Eine entschiedene Rolle für die Professionalisierung der Gesundheitsfachberufe spielt auch die Akademisierung. Wie für die Pflege brauchen wir für alle Gesundheitsfachberufe einen systematischen Ausbau primärqualifizierender Studiengänge, Masterstudiengänge sowie eine eigenständige Forschungsstruktur. Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass die Karrierewege bis zur Fachhochschulprofessur zu gestalten und Fachhochschulen bei deren Rekrutierung zu unterstützen sind. Wir brauchen Konzepte, die den Einsatz und die Bezahlung der Fachkräfte entsprechend der unterschiedlichen Kompetenzen widerspiegeln.

Und damit die Gesundheitsberufe über alle Sektoren hinweg miteinander kommunizieren können, bedarf es der Anbindung aller an die Datenautobahn der Telematik-Infrastruktur. Der vollständige Zugang zur elektronischen Gesundheitskarte und deren Anwendungen muss für die Heilmittelerbringer genauso erfolgen, wie er für die Ärzteschaft und Pflege vorgesehen ist. Der Koalitionsvertrag enthält auch diesen wichtigen Schritt bereits.

 

Um die Zusammenarbeit der Berufe voranzutreiben, sollte sowohl im Studium als auch in der Ausbildung ein stärkerer Fokus auf der Interdisziplinarität liegen. Berufsübergreifende Module oder gemeinsame Lernorte sollten fester Bestandteil der Curricula sein. Ziel muss sein, dass Behandler sich als Teil eines interprofessionellen Teams verstehen und gemeinsam über Sektoren- und Professionsgrenzen hinweg auf Augenhöhe kommunizieren und zusammenarbeiten. Nur dann werden wir auch künftig Pflegebedürftige und Patienten so versorgen und pflegen, wie sie es brauchen.

 

 

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